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Die Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" in nicht-westlichen Kulturen: Eine Fehldiagnose? Autorin: Birgit Eißner (2011) Abstract Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wurde erstmals 1980 im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders III (DSM III) aufgeführt. Binnen weniger Jahre wurde sie zur „Standarddiagnose, zur „ lingua franca seelischen Leidens“ [1] . Dies gilt auch für den Kontext der Entwicklungshilfe. Aus medizinethnologischer Perspektive gibt es jedoch viele Einwände gegen die Übertragung psychologischer und psychiatrischer Diagnosen aus einem kulturellen Kontext in einen anderen. In diesem Artikel soll aufgezeigt werden, dass sich die westlich-medizinischen Diagnosekriterien nicht dazu eignen, seelische Erkrankungen bei Menschen aus anderen Kulturen sicher zu erkennen. Auch soll hinterfragt werden, ob die von internationalen Hilfsorganisationen angebotenen psychotherapeutischen Behandlungsmethoden die emotionalen Bedürfnisse der Menschen befriedigen können und ob diese einen positiven Effekt auf ihr seelisches Wohlempfinden haben. Abschließend werde ich versuchen auf die Frage, wie man im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) am besten mit den Folgen traumatischer Erfahrungen umgehen kann, mögliche Antworten zu geben. APA American Psychiatrist Association DSM Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders EZ Entwicklungszusammenarbeit ICD-10 Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme; hier relevant: Kapitel V, „Psychische und Verhaltensstörungen“ PTBS Posttraumatische Belastungsstörung PTSD Post-Traumatic Stress Disorder NRO Nicht-Regierungsorganisation WHO Weltgesundheitsorganisation Traumatherapeutische Maßnahmen als Kernelement humanitärer Hilfe Während ursprünglich einmal die Programme von Entwicklungshilfeorganisationen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) nahezu ausschließlich darauf ausgerichtet waren, den Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern medizinische Grundversorgung, Technik, sowie das dazugehörige Know-how zur Verfügung zu stellen, präsentieren sich die Programme inzwischen deutlich verändert. Die auffallendste Veränderung hat dabei im Bereich der humanitären Hilfe stattgefunden. Alle Organisationen, seien sie staatlich oder privat, führen inzwischen Projekte zur psychotherapeutischen Betreuung der Opfer von Kriegen und (Natur-) Katastrophen, sowie zur Stärkung und Wiederherstellung des psychosozialen Gleichgewichts von Gemeinschaften im Programm [2] . Dies war bis vor wenigen Jahren nicht der Fall: die psychischen Schäden, die die Überlebenden davontrugen, waren in der EZ bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts nicht thematisiert worden, oder sie waren bestenfalls von sekundärem Interesse [3] . —Woran liegt es, dass sich Projekte mit psychologischen Inhalten binnen weniger Jahren von „nicht existierend“ zu einer festen Größe in der humanitären Hilfe entwickelt haben? Dafür gibt es mehrere Gründe. Genannt wird einerseits die Zunahme der durch Naturkatastrophen ausgelösten humanitären Notsituationen. Beispiele für hierfür sind die verheerenden Folgen tropischer Wirbelstürme (wie Hurricanes und Taifune), extremer Dürren, sowie Fluten. Nicht zuletzt verursachten die Erdbeben und Tsunamis der letzten Jahre in der Karibik, Südamerika und Asien ein bis dahin für unvorstellbar gehaltenes Ausmaß an menschlichem Leid und Elend. Westliche Hilfsorganisationen reagierten darauf verstärkt mit der Bereitstellung umfassender psychologischer Hilfe. Sogenannte „psychologische Erste Hilfe-Maßnahmen“ wie die Methode des Debriefing sind dabei genauso selbstverständlich wie die daran anschließende psychotherapeutische Betreuung der Betroffenen in mittel- und langfristigen Programmen. Es verwundert inzwischen niemanden mehr, dass nach jedem Unglück — sei es der Tsunami in Südostasien im Dezember 2004, das Drama um die Minenarbeiter in Chile, oder das Erdbeben in Haiti —binnen kürzester Zeit eine ganze Armada an Trauma-Experten in Erscheinung tritt [4] . Schwerwiegender noch für die Zunahme psychotherapeutischer Projekte in Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wiegt die Veränderung der weltpolitischen Situation seit Anfang der 1990er Jahre. Das Ende des Kalten Krieges führte zwar zu einer Abnahme zwischenstaatlicher Konflikte — dem gegenüber steht jedoch eine massive Zunahme an innerstaatlichen Konflikten wie Bürgerkriegen, Sezessionskriegen oder religiösen Kriegen [5] . Auch der Charakter dieser Kriege unterscheidet sich deutlich von denen „herkömmlicher“ bewaffneter Konflikte [6] . Es stehen sich nicht mehr die Soldaten zweier verfeindeter Länder gegenüber, sondern oft liegt eine ständig veränderliche, und daher schwer überschaubare, Gemengelage an unterschiedlichen militärischen und paramilitärischen Akteuren vor. Des Weiteren finden Kriege nicht mehr nur in Grenzgebieten statt, sondern häufig im Land selbst und gehen mitten durch die Bevölkerung — die Schäden in der Gesellschaft sind massiv. Auch werden Kriege zunehmend häufiger systematisch gegen die Zivilbevölkerung geführt. Die systematische Vergewaltigung von Frauen, die Verfolgung und Ermordung ethnischer Minderheiten und die Rekrutierung von Kindern als Soldaten sind hierfür bittere Belege [7] . Die Maßnahme der Traumabearbeitung gilt insbesondere hier, in diesen komplexen Nachkriegssituationen, „als hoffnungsvolles Instrument, um zu einer friedlichen gesellschaftlichen Transformation beizutragen […] und ist daher zu einem zentralen Bestandteil diverser EZ-Programme geworden“ [8] . Umso frustrierender ist es, dass Erfolge oft ausbleiben. Es stellt sich daher die Frage nach möglichen Gründen. Aufbauend auf der Tatsache, dass allen psychotherapeutischen Maßnahmen die Annahme zugrunde liegt, dass eine PTBS vorliegt, möchte ich im Folgenden argumentieren, dass sowohl die Diagnose PTBS, als auch die Methoden zu ihrer Behandlung zu speziell westlich sind, um Menschen aus anderen kulturellen Kontexten bei der Bewältigung ihres Leidens eine Hilfe darstellen zu können. Die Entstehung der „Posttraumatischen Belastungsstörung“ Um die Entstehung und Verbreitung des Trauma-Konzeptes und der PTBS zu verstehen, ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass wir es hierbei mit einem historisch betrachtet neuem Krankheitsphänomen zu tun haben. Bis vor ca. 130 Jahren waren in Europa seelische und körperliche Erkrankungen infolge eines erschütternden Erlebnisses so gut wie unbekannt, bzw. wurden nicht als Krankheit wahrgenommen. Auch waren, als um 1870 herum in Europa die ersten Berichte über solche rätselhaften Erkrankungen auftauchten, die Symptome andere als die heute definierten. Grundsätzlich bedurfte es damals der Entstehung eines gesellschaftlichen Verständnisses dafür, dass als schrecklich empfundene Ereignisse nachhaltend schädigende seelische Folgen hervorrufen können, die als Symptome einer Krankheit zu bewerten sind. Tatsächlich war es unter Fachleuten in Europa und den USA bis 1980 höchst umstritten, ob die vielfach beobachteten Folgereaktionen auf beispielsweise Kriegserlebnisse tatsächlich eine „echte“ Krankheit beschrieben. Erstmals waren diese Symptome bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Kontext von Industrieunfällen dokumentiert worden. Es gab zunehmend mehr Berichte über Arbeiter, die nach solchen Unfällen zwar von ihren körperlichen Verletzungen genesen waren, aber dennoch eine Reihe von körperlichen Symptomen wie bspw. Lähmungen und Zittern entwickelten, die sie dauerhaft arbeitsunfähig machten. Diese rätselhaften Symptome wurden ursprünglich als „Hysterie“ klassifiziert, aber es dauerte nicht lange bis sie, in Anerkennung eines traumatischen Erlebnisses als Auslöser der Krankheit, in „Traumatische Neurose“ umbenannt wurden. Dass diese Krankheit ausgerechnet dann bei immer mehr Arbeitern auftrat, als ein neues Arbeitsrecht in Kraft trat, das Rente bei Arbeitsunfähigkeit in Aussicht stellte, machte die Situation nicht einfacher — weder für die Betroffenen selbst, noch für die Ärzte. So stand von Anfang an zur Debatte, ob nicht gerade die Aussicht auf mögliche finanzielle Kompensationen das Simulieren von Arbeitsunfähigkeit für die Arbeiter attraktiv machte [9] . Der Ruch des Simulantentums war daher von Anfang an untrennbar verbunden mit der „Traumatischen Neurose“ und haftete auch noch während des Ersten und Zweiten Weltkrieges Soldaten an, die aufgrund ihrer Kriegserfahrungen traumatisiert, und somit kampfunfähig geworden waren [10] . Der Anstoß zur Neuinterpretation kam schließlich aus den USA. Dort führte die massenhafte Erkrankung von Vietnam-Veteranen zu einer allmählichen Umdeutung der Erkrankung. Reizbarkeit, Unruhe, Alpträume, überhöhte Wachsamkeit (Hypervigilanz), wiederkehrende belastende Erinnerungen an das schreckliche Ereignis ( intrusive flashbacks ), sowie viele weitere Symptome mehr hatten zur Folge, dass etliche Veteranen nach ihrer Rückkehr vom Krieg nicht mehr am normalen Alltagsleben teilnehmen konnten. Dass diese Symptome inzwischen nicht mehr vorrangig mit dem Stigma der Feigheit oder des Simulantentums behaftet waren, sondern zunehmend als „echte“ Krankheit akzeptiert wurden, hatte mehrere Gründe. Zum einen hatte sich der gesellschaftliche Kontext seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges deutlich verändert. Das Verständnis seelischer Krankheiten war inzwischen weithin durch die Theorien der Psychoanalyse geprägt, wonach seelisches Leiden infolge von Traumata als ernstzunehmende, aber auch behandelbare Erkrankung beschrieben wurde. Zum anderen spielten politische und moralische Diskurse wie die Ablehnung des Vietnam-Krieges in den USA eine zentrale Rolle bei der Neubewertung psychischer Erkrankungen, die infolge schrecklicher Erfahrungen auftraten [11] . Die schiere Zahl der an den oben genannten Symptomen leidenden Veteranen war eine nicht zu leugnende gesellschaftliche Realität geworden. Statt solche Soldaten wie früher unter den Generalverdacht des Simulantentums zu stellen, wurde ihr seelisches Leiden nun als typische, wenn nicht gar unvermeidliche Krankheit infolge von Kriegserfahrungen betrachtet und daher als Argument gegen den Krieg verwendet. So wurde schließlich nach langjährigen Debatten 1980 die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ in die dritte Auflage des Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders , DSM III, aufgenommen [12] . Aus einer umstrittenen und stigmatisierten Klassifizierung traumatisierter Menschen als „Hysteriker“ oder „Simulanten“ war schließlich eine offiziell anerkannte Krankheit geworden [13] . Weil die Symptome der PTBS nicht nur in den USA, sondern auch in Europa dokumentiert waren, ging man wie selbstverständlich davon aus, dass die PTBS auch in anderen Teilen der Welt existiere. Hinzu kam die Überzeugung, dass die der Psychologie und Psychiatrie zugrunde liegenden Modelle der menschlichen Seele, ihrer Erkrankungen, sowie der Methoden zu ihrer Heilung universal gültige Gesetzmäßigkeiten beschrieben. Dass die PTBS in anderen, nicht-westlichen Kulturen nicht dok