
Walton Ford Jack on his Deathbed
Pilze essen, Gott begegnen und danach dauerhaft von Depressionen erlöst sein.
Trips werfen, und dadurch endlich erfolgreich den Alkoholentzug schaffen.
Ecstasy nehmen, um danach von der Posttraumatischen Belastungsstörung geheilt zu sein.
Zu welchem der drei oben stehenden Szenarios wird derzeit in der Medizin seriös geforscht?
Zu allen.
Wie Michael Pollan in seinem Buch „How to Change your Mind“ überzeugend darlegt, erlebt die Forschung an psychedelischen Substanzen eine Renaissance.
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Das Stigma der skandalträchtigen Hippie-Ära, das der seit den 1950er Jahren existierenden, regen wissenschaftlichen Forschung an psychedelischen Substanzen Ende der 1960er Jahre ein jähes Ende setzte, wirkt bis heute in Politik und Forschung nach.
Timothy Leary und Richard Alperts (seit 1967 Ram Dass), beide Professoren für Psychologie und in den 1960er Jahren veritable Stars der Elite-Universität Harvard, waren aufgrund ihrer Aktivitäten zum Inbegriff der intellektuellen Gegenkultur, und damit zu den enfants terribles des akademischen Betriebes geworden. Indem sie Studenten mehrfach, und gegen ausdrückliches Verbot der Universitätsleitung, Psilocybin, Mescalin und LSD verabreichten, entzogen sie der jungen Forschung an psychedelischen Substanzen jedoch die Glaubwürdigkeit, was schließlich in der weltweiten Illegalisierung psychedelischer Substanzen resultierte.
Still und leise, und damit im gewollten Gegensatz zum exzentrischen Getöse der 1960er Jahre, wurde jedoch vor einigen Jahren die Forschung an diesen tabuisierten Substanzen wieder aufgenommen. Dies an so renommierten Universitäten wie der Johns Hopkins University, Oxford, dem London Imperial College, Cambridge, oder auch an der Charité in Berlin, um nur einige zu nennen. Und ja, sogar an der Harvard University wird inzwischen wieder mit psychedelischen Substanzen geforscht.
Wie war es angesichts der immer noch bestehenden, hohen politischen Hürden – psychedelische Substanzen waren schließlich in Europa und in den USA zu illegalen Drogen erklärt worden – zu dieser Renaissance gekommen?
Der Wiedereinstieg in die Forschung ist der jahrzehntelangen strategischen Vorarbeit einiger weniger Personen zu verdanken. Dazu gehört die Britin Amanda Feilding. Sie studierte Kunst und vergleichende Religionswissenschaften. Ihr Interesse galt dabei schon früh den veränderten Bewusstseinszuständen. Die gesellschaftspolitisch motivierte Illegalisierung psychedelischer Substanzen veranlasste sie 1998 zur Gründung einer Stiftung, die sich ausschließlich dem Zweck der Rehabilitierung dieser Drogen widmet: Die Beckley Foundation. Das Motto der Stiftung lautet: „Der beste Weg, um die Tabuisierung zu überwinden und psychedelische Substanzen in die Gesellschaft zu re-integrieren, ist, erstklassige wissenschaftliche Forschung dazu durchzuführen“. Anhand dieser Formel gelang es der Beckley Foundation im Laufe der 21 Jahre seit ihrer Gründung unanfechtbare Forschungsergebnisse zu produzieren. Diese wiederum wirken auf die Politik zurück: In der Konsequenz wurde in mehreren Ländern die Grundlage für politische Reformen geschaffen. 2010 wurde Feilding vom Guardian als eine der mutigsten Personen der Wissenschaftsgeschichte geehrt.
Auf der anderen Seite des Atlantiks findet man mit Roland Griffiths eine weitere zentrale Figur im langwierigen Prozess der Rehabilitation psychedelischer Drogen. Schon rein äußerlich stellt Griffiths mit seinem feinen, zurückhaltendem Auftreten die personifizierte Antithese zum Inbegriff des Hippie-Provokateurs Timothy Leary dar. Griffiths ist auch insofern die Antithese zu Leary, als seine Karriere makellos ist. Sie begann 1972, als er Assistent Professor für Verhaltensbiologie an der Johns Hopkins Universität wurde. 1983 wurde er darüber hinaus zum Assistent Professor der Neurowissenschaften an der Fakultät für Medizin der Universität, und seit 1987 leitet er dort beide Abteilungen. Sein Forschungsschwerpunkt lag von Anfang an in Sucht auslösenden Substanzen. Er beriet in den 1980er Jahren, also in den Jahren des von Ronald Reagan erklärten „Krieges gegen die Drogen“ unter anderem die U.S.-Drogenbehörde DEA und die zentrale Zulassungsbehörde für Lebensmittel und Drogen in den USA, die FDA. Griffiths berät überdies die WHO, und gehört seit 1998 deren Expertengremium zu Suchtmittelabhängigkeit an.
Die Tatsache, dass ausgerechnet Griffiths mit seinem 2006 veröffentlichten Artikel „Psilocybin can occasion mystical-type experiences having substantial and sustained personal meaning and spiritual significance“ zum Wegbereiter der Rehabilitation psychedelischer Drogen wurde, ist an Unwahrscheinlichkeit kaum zu überbieten.
Depression, Sucht, und die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sind inzwischen aufgrund der Häufigkeit ihres Vorkommens von großer gesellschaftlicher Relevanz. Auch dies half dabei, die Forschung an psychedelischen Substanzen wieder aufzunehmen. Die Kosten insbesondere der Behandlung von Depression und Sucht sind inzwischen so groß, dass auch auf politischer Ebene Interesse daran besteht, effektive Behandlungsmethoden zu finden. Die WHO schätzt, dass weltweit mehr als 300 Millionen Menschen an Depression leiden, was sie zur weltweit führenden Ursache von Einschränkungen der Lebensqualität und der Produktivität von Betroffenen macht. SSRIs, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, gehören seit rund 20 Jahren zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten zur Behandlung von Depression. Kritik ist allerdings in den letzten Jahren laut geworden. Zuletzt fasste eine 2017 im Journal of American Medical Association erschienene Meta-Studie von 36 Studien über die Wirksamkeit von SSRIs zusammen, dass diese bei der Behandlung von Depressionen im Vergleich mit Placebos zwar eine höhere Wirksamkeit aufweisen - diese jedoch nur geringfügig ist, und Placebos teilweise sogar besser abschneiden.
Stellt man diesem Ergebnis hingegen die Zahlen der Studien zur Effektivität von Psilocybin gegenüber, so wird schnell klar, warum die Resultate der bisher durchgeführten Studien von vielen Wissenschaftlern für aufsehenerregend gehalten werden: Griffiths konnte in seiner bahnbrechenden Studie von 2006 nachweisen, dass nach nur einmaliger Gabe von Psilocybin in 92 % der Fälle auch nach 5 Wochen eine klinisch signifikante Verbesserung des Krankheitsbildes vorhanden war; und weiter, dass diese Verbesserung in 79% der Fälle auch 6 Monate nach der nur einmaligen Einnahme von Psilocybin noch anhielt. Weitere zwischenzeitlich durchgeführte Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: “Eine einzige Behandlung reduzierte die Level von Depressionen und Ängsten total“ staunt Charles L. Raison, Professor an der School of Human Ecology der Universität Wisconsin-Madison.
“Keine weitere Behandlung, und auch 6 Monate später waren noch 60-70% der Leute in Remission, von einer einzigen Behandlung”.
Die Ergebnisse dieser Studien können bisher zwar nur als vorläufig eingestuft werden, sind aber derart vielversprechend, dass inzwischen an vielen Standorten in der EU (die Schweiz und das UK eingerechnet), den USA, Brasilien, Kanada und Israel wieder an psychedelischen Substanzen geforscht wird.
Zu diesen Substanzen zählen auch Ecstasy und LSD. Das als Partydroge bekannte Ecstasy wird seit einigen Jahren intensiv zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung erprobt und zeigt gute Erfolge, und sogar das „Problemkind“ LSD, wie sein Entdecker Albert Hoffmann es nannte, ist inzwischen auf dem besten Weg zur gesellschaftlichen Rehabilitation. Einer der Gründe hierfür ist, dass entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass LSD im speziellen, oder psychedelischen Substanzen im Allgemeinen, ein hohes Suchtrisiko innewohne, das Gegenteil der Fall zu sein scheint. Gerade das berüchtigte LSD erweist sich als höchst effektives Mittel im Einsatz gegen so schwierig zu behandelnde Suchterkrankungen wie Alkohol- und Nikotinsucht, und darüber hinaus auch als Medikament gegen Zwangs- und Essstörungen.
Verlocken diese Eigenschaften die großen Pharmakonzerne nicht zu intensiver Forschung an diesen Substanzen, um sie schnellstmöglich zur Marktreife zu bringen?
Die Industrie zeigt sich bisher zurückhaltend, was die Forschung an psychedelischen Substanzen angeht. Zu groß ist die Angst vor der öffentlichen Meinung. Auch sind die bürokratischen Hürden hinsichtlich der Marktzulassung psychedelischer Substanzen aufgrund der Gesetzeslage noch immer erheblich höher als bei den meisten anderen Substanzen, die sich momentan in Forschung befinden. Psychedelische Substanzen gelten seit der Verabschiedung einer UN-Konvention 1971 als illegale Rauschmittel mit hohem Suchtpotential und bar jeder medizinischen Wirkung. Nahezu weltweit wurden Gesetze geschaffen, die die medizinische Forschung an ihnen durch die Errichtung hoher bürokratischer Hürden de facto blockierten. Sowohl in Europa, als auch in den USA sind seit einigen Jahren Prozesse zur politischen Rehabilitation und der Veränderung der Gesetzeslage zu Psychedelika im Gange. Solche politischen Prozesse dauern naturgemäß lange und sind kostspielig. Aus diesem Grund sind finanziell fördernde Stiftungen wie die Beckley Foundation im UK, die Heffter Foundation in den USA, und weitere Nonprofitorganisationen wie MAPS von zentraler Bedeutung für die aktuelle Forschung an psychedelischen Substanzen.
Nicht zuletzt aufgrund ihrer Förderung gibt es seit 2016 Compass Pathways, ein kleines britisches Pharma Start-Up, das eigens für die Markteinführung von Psilocybin gegründet wurde. Sein Scientific Advisory Board liest sich wie das Who is Who der internationalen Forschung und drogenpolitischen Entscheidungsträger. George Goldsmith, Mitgründer von Compass Pathways, argumentiert vielleicht deshalb selbstbewusst, dass es nicht mehr lange bis zur Markteinführung von Psilocybin dauern wird – und dies zu Preisen, die nach Behauptung des Unternehmens so niedrig gehalten werden können, dass die Kosten für die Behandlung vom britischen Gesundheitssystem NHS übernommen werden: „Indem man ein günstigeres Medikament hat, kann man es den Patienten früher zur Verfügung stellen als eines, das sehr teuer ist.“
Als wären all diese Entwicklungen nicht schon für sich spannend genug, gibt es noch ein häufig zu beobachtendes Phänomen hinsichtlich der Wirkung psychedelischer Substanzen, das Atheisten und auch die meisten Wissenschaftler vor eine schwierige Situation stellt. Denn eine beträchtliche Anzahl von Probanden berichtet nach Einnahme der Substanzen von Erfahrungen, die mit dem Verständnis und den Begrifflichkeiten des wissenschaftlichen Weltbildes weder vereinbar sind, noch damit erfasst werden können. Dies sind die unter Einfluss der psychedelischen Substanzen gemachten – vermeintlich? – spirituellen Erfahrungen.
Vor dem Hintergrund von über vier Jahrzehnten Studien zu psychedelischen und nicht psychedelischen Substanzen formuliert Roland Griffiths vorsichtig: „Ich habe vielen Menschen viele Drogen verabreicht, und was herauskommt, sind Drogenerfahrungen. Was an psychedelischen Drogen einzigartig ist, ist die Sinnhaftigkeit, die aus der Erfahrung resultiert“. Hinsichtlich der möglicherweisen spirituellen Dimension dieser Erfahrungen scheint Griffiths einer der wenigen Wissenschaftler zu sein, der eine gleichberechtigte Existenz dieser sich scheinbar gegenseitig ausschließenden Realitäten zulassen kann: „Ich bin bereit, die Möglichkeit offen zu lassen, dass diese Erfahrungen sowohl wahr, als auch unwahr sein können“.
Die bisherigen Studienergebnisse deuten interessanterweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der mystischen Erfahrung und der heilenden Wirkung der psychedelischen Substanzen hin.
Vom Journalisten Michael Pollan danach gefragt, wie sie so sicher sein könne, dass ihre unter Ecstasy gemachte mystische Erfahrung Realität, und nicht lediglich eine drogeninduzierte Halluzination gewesen sei, entgegnet ihm eine Probandin spröde: „Das ist eine irrelevante Frage“.
Pollan, selbst ein bekennender Atheist, der unter dem Einfluss verschiedener psychedelischer Drogen Erfahrungen machte, die auch er nicht anders als die Erfahrung der Realität göttlicher Liebe
zu benennen weiß, beharrt interessanterweise auf der Wahrhaftigkeit beider Erfahrungswelten, d.h., der eines Atheisten, der dennoch die Wahrhaftigkeit einer spirituellen Realität erfahren hat.
Während die Einordnung solcher Erfahrungen wohl immer eine höchst individuelle Angelegenheit bleiben wird, stellt die nicht zu ignorierende Einheitlichkeit der Beschreibungen dieser Erfahrungen die Wissenschaft allerdings vor eine Herausforderung, da diese sie in eine von den meisten Forschern als unbehaglich empfundene Nähe zur Metaphysik rückt.
Verbirgt sich hinter dieser Aporie, hinter diesem Rätsel der mystischen Erfahrung zuletzt etwa göttlicher Humor?
Eines jedenfalls lässt sich jedenfalls unumstritten festhalten:
Das Phänomen „Heilung“ ist weitaus komplexer, und offensichtlich von weitaus mehr Ansatzpunkten behandelbar, als in der westlich-wissenschaftlichen Weltsicht traditionellerweise angenommen wird.